Montag, 14. August 2006

samtskhe-javkheti

ochse

gerade weil ich das wort abenteuerlich nicht gerade inflationär gebrauche, möchte ich es hier anbringen, um das wochenende zusammenzufassen.
der inhalt meiner fahrt nach borjomi sollte darin bestehen, im angrenzenden nationalpark einige berge zu besteigen, so wie ich es von früheren reisen gewohnt war. ich druckte mir aus dem internet eine karte aus, wählte eine route und kaufte mir einen schlafsack, um angemessen in einer berghütte übernachten zu können. ich hatte sogar ausreichend proviant dabei – kurzum: ich war wohl nie so gut vorbereitet auf eine bergwanderung. dass es am ende anders kam als geplant, wird der erfahrene leser bereits vermuten.
mit unterstützung des taxifahrers fand ich am freitag nachmittag die richtige marshrutka. keine leichte aufgabe für einen analphabeten. die minibusse fahren los, wenn sie voll sind. eine gewisse flexibilität wird somit vorausgesetzt. ich ergatterte einen der letzten plätze auf der rückbank. in meinem rucksack befand sich ein schönes buch und der spiegel. zum lesen kam ich indes nicht, weil meine nachbarin bereits nach kurzer zeit merkte, dass ich kein georgier im eigentlichen wortsinn bin, auch wenn nelli anderes zu behaupten weiß. dali ist kunstprofessorin in tbilisi und auf dem weg zu ihrer familie, die sich in borjomi im urlaub befindet, da dies ein gus-weit bekannter urlaubs- und kurort im südwesten georgiens ist und damit von vielen auf der flucht vor den hohen temperaturen im tbilisier august favorisiert wird. wir unterhielten uns über ihre ausstellungen, ihre zeit in deutschland, die struktur von universitäten, mich und über deutschland. unterwegs durfte ich einen veritablen waldbrand in den bergen beobachten und ein feld, das in flammen stand, rundherum georgische bauern, die hilflose löschversuche unternahmen. hier passt die information gut, dass die südossetische de-facto-regierung den gemeinden mit mehrheitlich georgischer ethnizität das wasser abgestellt hat. ihr mann rief sie etwa alle zehn minuten an, um den neuen aufenthaltsort der marshrutka zu erfragen. die fahrt entlang ausgedehnter maisfelder endete nach zweieinhalb stunden. die familie bot mir an, mich mit dem auto in ihr hotel mitzunehmen. und weil die orientierung auch mit lp schwer genug ist, willigte ich dankbar ein und befand mich minuten später zwischen ihrem sohn und ihrem etwa 2,20m großen bruder auf der rückbank eingepfercht. das hotel war eher eine ferienanlage, vorrangig von müttern mit kindern bewohnt, hoch in den bergen über dem kurpark gelegen. für 8 lari checkte ich ein. auf den bänken vor den bungalows saßen die mütter zusammen und schnackten. die vielen kinder, die wild im ganzen gelände herumliefen, und die jugendlichen, die um die tischtennisplatte herum chillten, schufen ferienlageratmosphäre. dalis 14jähriger sohn führte mich durch die anlage und überredete mich, eine runde manager zu spielen, die russische variante von monopoly, in der objekte in sankt petersburg gesammelt werden müssen. ein großformatiges bild von putin prangt auf der verpackung. ich musste burjomis gesundes quellwasser trinken, das salzig-bitter schmeckt, dem aber heilende kräfte zugeschrieben werden. später am abend kam der völlig betrunkene vater mit einem übermäßig großen kampfhund herein, dessen leine er in seinem zustand nicht mehr zu halten vermochte. so rannte der hund wild im zimmer umher. dass monopoly nicht in einer halben stunde zu spielen ist und man durch hotelverkäufe und straßentausch zum abgleich von unterkunftskosten das ende des spiels erheblich hinauszögern kann, wurde mir zum verhängnis. so musste ich erheblich in die schummeltrickkiste greifen, um das spiel gegen mich zu entscheiden aber immerhin zu einem ende zu führen.

buehne dc

für den nächsten morgen organisierte ich mir ein taxi, das mich zum eingang des nationalparks fahren sollte. der Samstag begann daher für mich schon um 6 uhr. schließlich gehen wir im frühtau zu berge.
das ist aber in georgien unbekannt. in ferienregionen passiert vor um 10 nichts. in der riesigen nationalparkverwaltung erklärte mir der aufpasser, dass vor 10 niemand erscheinen würde. karten gäbe es auch keine. daher blieb mir nichts anderes übrig, als mit dem internetschriebs in der hosentasche, ruck- und schlafsack auf dem rücken und einer gehörigen portion motivation den weg anzutreten. leider investierten die nationalparkmitarbeiter mehr zeit, geld und energie darin, schöne holztafeln mit informationen über flora und fauna links und rechts des weges aufzustellen, als schlicht mit einem eimer farbe die wege abzulaufen, und an kritischen weggabelungen die bäume mit zahlen oder symbolen zu verschönern, wie es in allen anderen regionen usus ist. nach 45 min weg schätzte ich die gefahr des verlaufens als zu groß ein und kehrte um. noch in der hoffnung, unterwegs andere wanderer anzutreffen oder einen guide zu engagieren, wie es im internet auch empfohlen wurde. offensichtlich liegt das nicht an der gefährlichkeit der wege sondern vielmehr an der unkenntlichkeit derselbigen. der aufpasser teilte mir nun mit, dass am wochenende keine guides arbeiten würden. das war der ernüchterung zu viel. dennoch setzte ich mich in die sonne, nahm meinen spiegel und wollte wenigstens bis 10 uhr warten. der aufpasser, dem ich in seiner funktion als überbringer schlechter nachrichten wenig sympathie abgewinnen konnte, gesellte sich dazu und las mir aus dem spiegel vor. das radebrechen gebe ich hier nicht wieder.
im lp suchte ich bereits nach alternativzielen und lief mit sack und pack zurück nach borjomi. so: dramtische musik. die wolken öffnen sich. licht. schicksal. ich sah wohl sehr hilflos aus. deshalb fragte mich ein 17jähriger georgier, woher ich komme, wohin ich wollte und ob er mir helfen könne. berlin, keine ahnung, ja. minuten später befand ich mich auf dem rücksitz, diesmal sogar zu viert. „warst du schon am grünen kloster“ „nein“ „wir haben heute eine beerdigung im ort, aber ich kann dich um 1 dort abholen“. zeit für spontaneität. auf der strecke hielt das auto „2 kilometer in dieser richtung“.. ich lief den waldweg entlang, bis ich auf einer lichtung das kleine idyllisch gelegene kloster fand. ein mann malte auf einem gerüst die umrisse von ikonen an die wand, zwei mönche werkelten im innern der kirche, die nur schwach durch einen lichtstrahl erhellt wurde. ich machte es mir auf einer mauer gemütlich.

strahl ikonen irakli

als irakli erschien, nahmen wir eine marshrutka bis zu seinem dorf. man steht tatsächlich an der menschen- und autoleeren straße und wartet darauf, dass etwas vorbeifährt.
das dorf chitakhevi mit seinem ehemaligen sanatorium wurde nach dem zweiten weltkrieg von deutschen gebaut. selbstverständlich nicht ganz freiwillig. ein friedhof mit massengrabcharakter ist ganz in der nähe. einhundert menschen wohnen hier. gut, neunundneunzig, einer der älteren ist jüngst verstorben, die beerdigung heute. ich wurde zum leichenschmaus eingeladen, etwa 60 menschen saßen an der langen tafel, männlein und weiblein streng getrennt. von zeit zu zeit nam der dorfchef ein glas in die hand, erzählte aus dem leben des verstorbenen, von dessen sohn und anderen angehörigen.
irakli wohnt in einem haus auf dem grundstück seiner großmutter, seine mutter lebt in griechenland, die schwester studiert in alkhaltsikhe, sein vater kam vor 8 jahren bei einem verkehrsunfall ums leben, als ein bus die kurve nicht bekam und über den abhang in den fluss mtkvari stürzte. das haus ist ärmlich eingerichtet, die toilette ist im garten, gewaschen wird sich in einem becken mit kaltem wasser. ob ich übernachten wolle? aber natürlich.
wir fuhren mit einem auto und drei weiteren leuten zu einer alten kirche in den bergen. auf den letzten metern kamen wir an einem baum vorbei, wie ich ihn auch schon in sibirien gesehen hatte. wenn man ein stück stoff an einen der äste band, durfte man sich etwas wünschen. und ich kann bestätigen, dass das funktioniert. die georgier finden den baum aber nicht so gut, weil sich aberglaube und glaube nicht vertragen.
diejenigen, die im ort die schule hinter sich gebracht haben und hier wohnen geblieben sind, machen den ganzen tag gar nichts, weil es keine arbeit gibt. das ist natürlich nicht förderlich für die stimmung. auf dem rückweg hielten wir am fluss und badeten.
beim anschließenden fußballspiel auf dem dorfeigenen platz konnte ich auch ein bisschen glänzen, natürlich nicht mit technik, aber mit ausdauer und einsatz. die bergstiefel waren allerdings ein handycap. das wm-ergebnis im hinterkopf, fühlten sich viele genötigt, mich ein bisschen zu bemitleiden. wir liefen durch den orte, und ich unterhielt mich mit vielen alten, die alle einen cousin/bruder/freund kannten, der einmal in deutschland war, zumeist in potsdam stationiert. es ist natürlich auch möglich, dass es sich bei den cousins, brüdern und freunden um ein und dieselbe person handelt.
irakli tischte reichlich auf, eine bohnenhaltige masse heißt zivi. der tisch war voll, dennoch entschuldigt er sich dafür, dass er arm ist und nicht viel hat. ich finde, dass ich ein guter gast bin, der sich lieber einmal zu viel bedankt und georgien mehr lobt als es nötig wäre, dafür kein guter esser.
am abend traf sich die dorfjugend auf einigen bänken in der nähe des ersten hauses. ich verstand natürlich nichts von den gesprächen. ein 14jähriges hübsches mädchen war sich ihrer wirkung auf jungs durchaus bewusst und nutzte diese, indem sie die gleichaltrigen jungs im gespräch leicht am arm berührte oder auf dem obeschenkel. mit dem ältesten war sie scheinbar nicht nur gut befreundet. dieser wurde jedoch die ganze zeit von den drei mädchen seines alters beobachtet. er würdigte sie aber keines blickes, sodass sie bald darauf den platz verließen. ich unterhielt mich lange mit zwei moskauer mädels die in chitakhevi geboren waren, nach der schule aber das land verließen, um in russland arbeit zu finden. „gab es nichts?“ – „es gibt nichts.“

wunschbaum strasse2 auto2 auto berg guck

am nächsten morgen fuhren wir mit der marshrutka nach alkhaltsikhe, wo wir leider die letzte marshrutka nach vardzia verpasst hatten. so mussten wir auf ein taxi zurückgreifen. die einzige weibliche taxifahrerin verlangte den geringsten preis für die strecke. ihre fahrweise war aber nicht weniger resolut. die straßen konnte man die meiste zeit nicht als solche bezeichnen, das hielt sie aber nicht davon ab, immer um die schlaglöcher herum über den schotter zu rasen. irakli konnte sich gut mit ihr über georgische tv-serien unterhalten. so hatte ich ein wenig zeit für mich und schaute die zwei stunden lang aus dem fenster und genoss das bergpanorama. der lp sagt zu dieser strecke:"the drive into the wilderness from akhalsikhe towards vardzia and the turkish border is as dramatic and attractive as any in georgia outside the great caucasus"

strasse

vardzia ist eine stadt, die im 12 jahrhundert in luftiger höhe viele meter tief in den fels gehauen wurde, erst zum schutz der damaligen königin, später als religiöse stätte mit eingeschlossenem kloster. die riesige kirche in der mitte der höhlenstadt war besonders beeindruckend. vor der abfahrt saßen wir in der sonne und aßen melone und brot. nebenan picknickende georgier luden uns zum vodkatrinken ein. da dieser mit einiger sicherheit in eigener produktion hergestellt wurde, erwartete ich mein erblinden, aber es ging gut.
alkhaltsikhe – chtakhevi. es gestaltete sich schwierig, eine marshrutka zu finden. daher fuhren wir die halbe strecker per anhalter. die beiden jungs von der opelgang freuten sich sehr über den deutschen fahrgast, weil sie selbst einmal in deutschland lebten, illegal, wie sie stolz erklärten. in borjomi konnten wir in letzter sekunde die marshrutka anhalten, die in meinen augen bereits voll besetzt war. aber jemand zog noch einen schemel hervor, auf dem ich in jeder kurve nach links oder rechts wippte, für 7 lari gibt es eben keinen videobildschirm im vordersitz.
der taxifahrer in tbilisi erzählte mir schließlich, wie „die russen“ seinen sohn umgebracht hatten und zeigte mir ein bild, das er in einer plastikfolie in seinem handschuhfach aufbewahrte.

fruehstueck rasthof schule sitze vardzia

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