kazbegi
vorworte:
der sprachinteressierte leser wird bemerken, dass die heutige passage im dynamik vorgaukelnden präsens verfasst wurde. der sprachuninteressierte leser hat es hiermit erfahren.
nach den ausführungen der vergangenen woche erwartet der ein oder andere vielleicht eine ähnlich abenteuerliche geschichte. ich kann nur erahnen, wie groß die diskrepanz ist zwischen meiner subjektiver eigenwahrnehmung und dem bild, das ihr euch macht. diese gering zu halten, ist das ziel dieses blogs. jedenfalls finde ich, dass das wochenende in kazbegi dem wochenende in borjomi in nichts nachsteht.
am donnerstag beschließe ich, das wochenende in den bergen zu verbringen. eine große auswahl an zielen, die von tbilisi gut zu erreichen sind, besteht leider nicht. der lonely planet beschreibt die kaukasusregion um den ort kazbegi – wo das bier herkommt (wer erinnert sich? letzte woche war es mineralwasser) – sehr ansprechend. es gibt verschiedene routen, günstige unterkünfte und eine marshrutka am sonntagabend. ich habe glück. eine unicef-mitarbeiterin hat am freitag einen termin in kazbegi. kristel hat sich auch schon einen platz im auto gesichert, neben zwei französischen freundinnen der uniceflerin. dass sich mein platz im kofferraum befindet, merke ich erst am freitag morgen. ich hatte den fahrer nicht mitgezählt.
die fahrt in den kaukasus auf der alten heerstraße ist wunderbar. maya erzählt anekdoten zu allen kirchen, die wir passieren, erklärt, dass es früher in sichtweite türme auf den bergen gab, die bei gefahr nacheinander ein feuer entzündeten. tolkien hat wohl gut recherchiert.
mit zunehmender höhe wird die straße schlechter. unterwegs fahren wir an einem überdimensionierten kreisrunden denkmal vorbei, dass an die russisch-georgische freundschaft erinnnert und einen friedensvertrag feiert, der schon zwei jahre nach unterzeichnung von seiten der russen torpediert wurde, indem sie das georgische königshaus ermordeten. georgische könige gibt es nicht mehr. das denkmal steht noch.
auf dem kleinen platz im zentrum des ortes stehen schweine im schatten eines denkmals. die französinnen steigen in der nahegelegenen herberge ab. ich hatte mir im lp vano’s place ausgeguckt. nachdem maya und kristel abgesetzt sind, werde ich zu vano gefahren. vano ist außerordentlich freundlich. er zeigt mir seine wanderkarten, beschreibt die kniffligen stellen, macht mir mut für den trip. als ich meine unterkunft verlasse, um mich im ort ein wenig umzusehen, finde ich den unicef-wagen aufgebockt vor. reifenpanne. kein wunder bei den hiesigen straßenverhältnissen, denke ich. aber es soll zum ersten mal passiert sein. wir wechseln den rechten vorderreifen des nissans. aufgrund einschlägiger erfahrungen bei kleinen autos, kann ich tatkräftig danebenstehen und die dokumentation übernehmen.
nach einem üppigen chinkali-essen, laufe ich zu vano zurück. dort fragt mich ein israeli, ob ich in den ort mitkommen wollte. sie wollten für das abendessen einkaufen. regel nr. 1: einverstanden sein. der israeli gehört zu einer vierköpfigen reisegruppe, die sich auch erst unterwegs zusammengefunden hat. bemerkenswert: die beiden männer heißen shai, die beiden frauen ravid. die israelis sind sehr ungewöhnliche backpacker. sie suchen in verschiedenen geschäften zutaten für das abendmahl. meine russischkenntnisse stimmen sie regelrecht euphorisch, da sie so die möglichkeit erhalten, nach gewürzen zu fragen. die beiden älteren israelis sind verheiratet. er ist geschichtslehrer, sie künstlerin. wir können uns über demokratische schulen unterhalten, die in israel ins staatliche bildungssystem integriert sind. nach ihrer hochzeit vor 5 jahren sind die beiden ein jahr um die erde gereist. allein in neuseeland waren sie 3 monate.
die zubereitung des essens wird dadurch erschwert, dass es bei vano keine elektrizität gibt, da sich seine herberge auf der falschen seite des flusses befindet. so machen wir feuer im kleinen ofen und stellen pfannen und töpfe nacheinander darauf. salat, tomatensuppe aus frischen tomaten, reis mit pilzen, kartoffeln aus dem ofen, frisches kebabfleisch. dazu einige kerzen in aufgeschnittenen pet-flaschen und der klare sternenhimmel. die israelis singen vor dem essen einige lieder und lesen psalme. nach einiger zeit gesellen sich die im garten zeltenden polen hinzu, später am abend kommt ein weiterer israeli durch die gartentür. große freude, als ravid feststellt, dass es ein ehemaliger schulfreund ist.
am nächsten morgen mache ich mich um halb acht auf den weg. dieser führt an einer kirche aus dem 15. jahrhundert vorbei, die wegen ihrer abgeschiedenen lage in den bergen und dem großartigen panorama in jedem reiseführer abgebildet ist.
leider kann ich nicht lange bleiben, weil noch eine große strecke vor mir liegt. mein ziel ist eine alte meteorologiestation oberhalb eines gletschers auf 3.700m höhe. die 2.000 höhenmeter an einem einzigen tag zu laufen, ist recht ungewöhnlich und das ungläubige und anerkennende staunen der wanderer, die ich unterwegs antreffe, macht mich ein wenig stolz. allerdings ist der marsch nur dem umstand geschuldet, dass ich schlicht nicht mehr zeit zur verfügung habe. die größte schwierigkeit besteht in der überquerung eines gletscherflusses, der aufgrund der fortgeschrittenen jahres-und tageszeit viel mehr wasser mit sich führt als es auf der karte eingezeichnet war. so muss ich einen geröllhang hinaufklettern, um zu einer stelle zu gelangen, an der der fluss völlig von eis „überdacht“ ist. dabei treffe ich zwei tschechen, mit denen ich die letzten 700 höhenmeter auf dem gletscher zurücklege.
die umliegenden berge, die gletscherspalten, es ist traumhaft schön. leider habe ich aufgrund fortgeschrittener erschöpfung wenig sinn für die umgebung. wir denken über jeden schritt dreimal nach, die luft wird merklich dünner und auch der große höhenunterschied in der knappen zeit wirkt sich kaum positiv auf die körperliche verfassung aus. nach 10 stunden laufzeit erreiche ich die station. außerhalb haben einige wanderer ihre zelte aufgeschlagen. innen bekomme ich einen holzverschlag zugewiesen. es ist nicht direkt auf der erde. aber auch nicht viel besser. nach einem wärmenden tee und einem halben kapitel der kartause schlafe ich ein. am nächsten morgen bereitet man mir ein frühstück mit nutella-konkurrenzprodukt. ich bin so froh darüber, dass es mir egal ist, dass manche scheiben das mindesthaltbarkeitsdatum schon eine weile hinter sich gelassen haben.
der rückweg ist herrlich. auf einer wiese mache ich rast, mit der kartause in den händen, den kopf auf den schlafsack gelehnt. die mir entgegenkommenden wanderer erhalten geschönte zeitangaben über die vor ihnen liegende wegstrecke, was als motivationshilfe zu sehen ist. in gergeti werde ich von einer kleinen trinkgemeinschaft zum verweilen eingeladen. ich versuche mich an einem dreisaitigen georgischen nationalinstrument und erziele nach einigen versuchen durchaus achtbare erfolge.
K. - 22. Aug, 09:06